“Wir können die Toten nicht begraben.”, sagt einer der Dorfbewohner. Im Licht des Themas von “Auf halbem Weg zum Himmel” erlangen seine Worte eine doppelte Bedeutung. Die Toten können nicht ruhen, bis der an ihnen verübte Mord gesühnt ist. Praktisch können die Leichen nicht beigesetzt werden, weil sie Beweise sind. Vor dreizehn Jahren waren die Dorfbewohner wie viele Guatemalteken nach Mexiko vor den Repressionen aus ihrem Heimatland geflohen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben außerhalb der Notcamps kehrten sie 1994 zurück. Eine am 8. Oktober 1992 mit der Regierung geschlossene Übereinkunft garantierte den Rückkehrern die Gründung La Auroras. Dieses Datum wollten die Menschen mit einem Dorffest begehen, welches sie am 5. Oktober vorbereiten. Da marschieren bewaffnete Soldaten in das Dorf ein. Die traumatischen Erlebnisse vor ihrer Flucht erwachen in den Menschen. Ohne Rechtfertigung oder Anlass dringen die Truppen in das Zentrum der Gemeinde vor. Als die Bewohner die Militärs zum Niederlegen der Waffen auffordern, beginnt das Massaker. Elf Dorfbewohner, zwei von ihnen Kinder, sterben. Dutzende werden verletzt. Die vorgebliche Beweisaufnahme nach dem Gewaltakt ist eine reine Scharade. Die Fotodokumente und Aufnahmen aus “Auf halbem Weg zum Himmel” machen den Schmerz und die Wut, welche die Menschen damals und heute bewegen, nachfühlbar. Gezielt wurden nach dem Morden möglichst viele Beweise von den Verantwortlichen vernichtet.
In einem entlarvenden Interview versucht sich einer der Militärführer vor der Kamera zu rechtfertigen. Bei seinem Versuch, den Gewaltakt als Notwehr darzustellen, verhaspelt er sich. Das Eingeständnis ist halb heraus, als er seine Worte korrigiert. Die Wahrheit scheint sich in “Auf halbem Weg zum Himmel” in ihren Gegnern und Fürsprechern ans Licht zu kämpfen. Statt die offizielle Lüge hinzunehmen, entschließen sich die Menschen aus La Aurora zum Widerstand gegen das repressive System, welches sie einst aus der Heimat vertrieb. Die Einwohner klagen die Regierung des Massakers an. Kurze Zeit später begannen die Regisseure Andrea Lammers und Ulrich Miller mit dem Dreh von “Auf halbem Weg zum Himmel”. Ihre mehrfach ausgezeichnete Reportage erschüttert, macht zornig und empört, doch sie weckt auch Respekt vor dem unerschütterlichen Gerechtigkeitstreben der Bevölkerung La Auroras. Trotz der systematischen Vertuschungsmaßnahmen und Einschüchterungsversuche der Regierung fordert die Gemeinde in “Auf halbem Weg zum Himmel” eine Klärung der Schuldfrage. Zwei Siege werden nach über einem Jahrzehnt errungen. Der eine ist der von den Einwohnern erkämpfte rechtliche Sieg. In dritter Instanz werden die Verantwortlichen 2004 zu 40 Jahren Haft verurteilt.
Der andere Sieg ist die Fertigstellung des unter schwierigsten Bedingungen gefilmten “Auf halbem Weg zum Himmel”. Rau und grobkörnig sind die Aufnahmen von Kameramann Lars Barthel. Ihre Ungeschliffenheit verleiht ihnen Authentizität und emotionalen Kraft. Im Zeitalter satirischer Dokumentationen und halbdokumentarischer Filme enthüllen die Bilder eine unverfälschte Ausdruckskraft. Der Rechtsstreit in “Auf halbem Weg zum Himmel” beendet nicht die Unterdrückung der guatemaltekischen Ex-Flüchtlinge. Aber er ist ein entscheidender Markstein auf der Reise zu mehr Gerechtigkeit. Auch ein langer Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Die Dorfbewohner sind ihn gegangen.
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Titel: Auf halbem Weg zum Himmel
Land/Jahr: Deutschland 2009
Genre: Dokumentarfilm
Kinostart: 3. September 2009
Regie und Buch: Andrea Lammers, Ulrich Miller
Kamera: Lars Barthel
Länge: 106 Minuten
Verleih: Pop Tutu Film